Regenerate society: Sog der Katastrophen
5 Fragen an die Neurowissenschaftlerin und Bestseller-Autorin Dr. Maren Urner, wie wir als Gesellschaft mit Dauerkrisen und dem Sog der Katastrophen fertig werden.
Klimakrise, Krieg und Corona – tagtäglich prasseln besorgniserregende Nachrichten auf uns ein. Um zu verstehen, wie wir aus der gefühlten Dauerkrise herauskommen, lohnt sich ein Blick in unseren Kopf: Die vielen negativen Nachrichten schlagen nicht nur aufs Gemüt, sondern verändern auch unser Gehirn. Wir haben Neurowissenschaftlerin Dr. Maren Urner gefragt, wie wir unser Verhalten anpassen können, anstatt hilflos zu reagieren und in alte Muster zu fallen.
Themen: Verhaltensänderung | Krise | Neurowissenschaft | Gesellschaft
Dr. Maren Urner ist Neurowissen-schaftlerin, leidenschaftliche Autor-in & Mitgründerin von Perspective Daily, dem ersten konstruktiven und werbefreien Online-Magazin Deu-tschlands. Heute ist sie Professorin für Medienpsychologie, Bestseller-autorin und Rednerin. Als Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft zeigt sie immer wieder auf, warum unser Gehirn weit davon entfernt ist, die "rationale Entscheidungsmaschine" zu sein, die wir uns oft wünschen – und warum es wichtig ist, über Lösungen (statt nur über Probleme) zu sprechen.
STURMundDRANG: Die mediale Berichterstattung repräsentiert meist negative Nachrichten, wodurch sich unsere Wahrnehmung der aktuellen Weltsituation verzerrt. Was macht das mit der Gesellschaft und uns als Individuen?
Dr. Maren Urner: Zunächst einmal sorgt es dafür, dass die meisten Menschen mit einem zu negativen Weltbild in ihren Köpfen unterwegs sind – das ist wissenschaftlich gut untersucht. Wer sein eigenes Wissen überprüfen möchte, dem empfehle ich den kleinen Test der Gapminder-Stiftung und das Buch Factfulness von Hans Rosling und Kolleg:innen. Neben einer verzerrten, zu negativen Vorstellung der Welt, die nicht der Realität entspricht, kann der Negativfokus uns auch psychisch belasten und sogar krank machen. So verlieren manche Menschen die Motivation sich überhaupt zu informieren, weil sie die ständig schlechten Nachrichten demotivieren und hoffnungslos zurücklassen. Das Gefühl von Hilflosigkeit ist hierbei zentral und der wohl wichtigste Grund, warum wir – angenommen, wir nehmen die Herausforderungen unserer Zeit wirklich ernst – eine andere Berichter-stattung benötigen. Die wichtigste Zutat dabei ist die Frage: Was jetzt? Wie wollen wir weitermachen?
SuD: Und wie können wir dem entgegenwirken und zukünftig einen besseren Umgang finden?
Dr. Maren Urner: Genau diese Frage ist zentral für den Ansatz des Konstruktiven Journalismus, der ein vollständigeres Bild der Realität vermittelt und so Menschen automatisch aus der erlernten Hilflosigkeit befreit. Der Journalismus und die Medien allgemein haben eine riesige Verantwortung, weil jede Informationsweitergabe die Gehirne der Menschen verändert. Das zu verstehen und entsprechend verantwortungsvoll damit umzugehen, halte ich für die zentrale Herausforderung für sämtliche Redaktionen, soziale Medien und andere „Informations-Weitergeber:innen“.
SuD: Die globalen Treibhausemissionen wachsen seit dem Pariser Klimaabkommen 2015 stetig. Obwohl diese und viele weitere Fakten bekannt sind, verändern wir unser Verhalten nur wenig. Warum reichen diese Tatsachen nicht aus, um eine angemessene Verhaltensänderung in Bewegung zu setzen?
Dr. Maren Urner: Weil unser Gehirn kein Computer ist, indem es Tasten für „Speichern“ und „Löschen“ gibt, sondern das wohl komplexeste biologische Organ auf diesem Planeten, das Informationen immer subjektiv verarbeitet. Die bestimmenden Faktoren dabei sind die individuellen genetischen Voraussetzungen, die Summe aller bisherigen Erfahrungen des Individuums und die Interaktion aus beidem. Die wichtigste Komponente, die unsere Wahrnehmung der Welt und damit auch unser Handeln bestimmt, sind Emotionen. Nur wenn wir das endlich anerkennen und ehrlich darüber sprechen, können wir im Kleinen und Großen nachhaltige Entscheidungen treffen.
Als Leitspruch gern zitiert von Dr. Maren Urner:
„Das Reden über Probleme
schafft Probleme, das Reden über
Lösungen schafft Lösungen.“
– STEVE DE SHAZER
SuD: Warum ist es so wichtig, unsere Vorstellungskraft mehr zu trainieren? Wie geht das eigentlich und was macht das mit unserem Gehirn?
Dr. Maren Urner: Unsere Vorstellungskraft ist zentral, um gute Antworten auf Klimakrise, Krieg und Co. zu finden. Denn nur wenn wir in der Lage sind, uns vorzustellen, wie wir leben möchten und was wir dafür benötigen, sind wir in der Lage, die dafür notwendigen Entscheidungen zu treffen. Ganz konkret bedeutet das, uns bei jeder Diskussion immer wieder daran zu erinnern „Wofür statt wogegen“ zu fragen. So werden wir quasi gezwungen, den Blick nach vorn statt nach hinten zu richten. Wir verharren dann automatisch nicht länger in Schuldfragen und der ständigen Sündenbocksuche, sondern nutzen unsere wunderbare Vorstellungskraft ganz automatisch. Sie unterscheidet uns Menschen im Übrigen von allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten.
SuD: Welche konkreten Vorschläge haben Sie, um einer wünschenswerten Zukunft näher zu kommen?
Dr. Maren Urner: Wir brauchen einen radikal ehrlichen Diskurs auf allen Ebenen – beginnend bei der Auseinandersetzung mit uns selbst. Nur wenn ich ehrlich zu mir bin und Antworten auf die Frage habe, was ich unter einer „wünschenswerten Zukunft“ verstehe und was mir wirklich gut tut, kann ich beginnen, darüber zu sprechen und mich dafür einzusetzen. Die ehrliche Kommunikation benötigen wir natürlich ebenso in Unternehmen und in der Politik. Die gute Nachricht: Sämtliche Studienergebnisse zeigen uns, dass es genau diese Art der Kommunikation ist, die Menschen motiviert, kreativ und neugierig werden lässt. Das sind genau die Zutaten, die wir benötigen, um gemeinsam gute Entscheidungen zu treffen und endlich damit aufzuhören, kurzfristig zu denken und so unsere eigene Lebensgrundlage zu zerstören.
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