#PROTOPIA

Karolina Braun
Marketing Strategin & Designerin
22.08.2023 | Lesezeit: 5 Minuten

CHANGING CULTURES MAGAZIN > PROTOPIA > Regenerate society: Goldeimer

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5 Fragen an das gemeinnützige Social Start-Up "Goldeimer", das es sich zum Ziel gemacht hat, Menschen weltweit den Zugang zu einer gesicherten Sanitärversorgung zu ermöglichen.

Mit ihrer Vision »Alle für Klos! Klos für alle!« unterstützen sie die Maßnahmen zur Erreichung des Sustainable Development Goal (SDG) 6 der Vereinten Nationen: „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten.“ Neben Festival-Klos bietet Goldeimer auch Bildungsworkshops an, sensibilisiert für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, beteiligt sich an Forschungsprojekten rund um das Thema Nährstoffrecycling und alternative Sanitärversorgung und produziert ein soziales Klopapier und Seife – immer mit dem Ziel, alle Gelder in Kreislaufwirtschaft und weltweite Sanitärprojekte zu reinvestieren. Denn Goldeimer kombiniert ein ökologisch nachhaltiges Angebot mit einer sozialen Hintergrundstruktur: Alle Erlöse fließen perspektivisch in weltweite Sanitärprojekte. Das sonst so ernste Thema Sanitärversorgung, das viele Menschen auch peinlich berührt oder ihnen unangenehm ist, enttabuisieren sie durch Humor und Spaß, Musik und Kunst.

Themen: Sanitärversorgung | SDG Goals | Bildung | Gesellschaft | Kreislaufwirtschaft

 

Malte Schremmer ist Chief Shit Ad-visor bei Goldeimer, einem gemein-nützigen Hamburger Unternehmen, das zum Kosmos von Viva con Agua zählt. Das Ziel: die Sanitärwende und Trinkwasser für alle!

»Klos für alle! Alle für Klos!«

GOLDEIMER | MALTE SCHREMMER

 

STURMundDRANG: Mit eurer Vision „Alle für Klos! Klos für alle!“ setzt ihr euch für eine Sanitärwende ein. Erklär’ mal, wieso das so wichtig ist.

Malte Schremmer: Jeder Mensch hat das Recht auf eine Toilette. Aber nicht alle Menschen haben Zugang dazu, geschweige denn zu einem funktionierenden, privaten Klo mit Handwaschmöglichkeit. 3,6 Milliarden Menschen haben noch keinen Zugang zu einer sogenannten gesicherten Sanitärversorgung. Das ist fast die Hälfte der Weltbevölkerung. Das wollen wir ändern. Denn ein Klo bedeutet Privatsphäre, Würde, Sicherheit und Gesundheit. Darum wollen wir Klos für alle!

Neben dem Zugang zu Sanitärversorgung ist uns das Thema nachhaltige Sanitärversorgung aber mindestens genauso wichtig. Es geht uns nicht darum, möglichst viele Klos zu bauen, sondern nachhaltig die Sanitärsituation zu verbessern – das heißt auch unser System bspw. hier in Deutschland zu hinterfragen. Denn unter dem Klodeckel tun sich so einige Herausforderungen auf: Humusschwund, Phosphor-Peak, Degradation der Böden. Darum setzen wir uns für eine nachhaltige und kreislauforientierte Sanitärversorgung ein und fordern eine Sanitärwende.

 

SuD: Das Thema Sanitärversorgung ist gesellschaftlich eher ein Tabuthema. Wie schafft ihr es, Menschen trotzdem für so ein unbeliebtes Thema zu begeistern? Habt ihr bestimmte Hacks?

Malte: Es ist ja gar nicht unbeliebt – es ist einfach unheimlich stigmatisiert und tabuisiert in unserer Gesellschaft, über unser tägliches Geschäft zu sprechen. Wir versuchen dem mit viel Humor, Kreativität und positiver, direkter und offensiver Kommunikation entgegenzutreten. Auf den Festivals erreichen wir Menschen in Deutschland beispielsweise in einer Situation, in der ihre Sanitärversorgung nicht so super ist. Bei Goldeimer gibt es nicht nur saubere Klos, sondern auch gute Musik, alte Bravos zum Lesen und eine Crew, die immer für einen Schnack oder eine Runde Superflitzer zu haben ist. Wir haben Spaß an den Toiletten – das überträgt sich auch auf die Besucher*innen.

 

SuD: Jetzt bringt ihr neben dem Klopapier auch eine Seife auf den Markt und unterstützt damit sogenannte WASH-Projekte. Was steckt dahinter?

Malte: Unsere Produkte sind mehr oder weniger Mittel zum Zweck, um die Vision »Klos für alle! Alle für Klos!« zu verbreiten und wahr werden zu lassen. Die Erlöse verbleiben in der Gemeinnützigkeit und unterstützen u.a. WASH-Projekte. Das Akronym WASH steht für Wasser, Sanitär und Hygiene. Diese drei Komponenten bedingen sich gegenseitig und sorgen nur im Dreiklang für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen. Es reicht nicht, nur Toiletten zu bauen. Zu einer würdigen und gesicherten Sanitärversorgung gehört neben einer funktionierenden Toilette auch sauberes Trinkwasser sowie Handwasch- und Hygienemöglichkeiten.

 

SuD: Was sind die Vorteile, wenn wir unsere Fäkalien recyceln? Und was die (bürokratischen) Herausforderungen / Hürden?

Malte: Menschliche Fäkalien enthalten Nährstoffe. Pflanzen brauchen Nährstoffe, um zu wachsen. Wir brauchen Pflanzen, um zu essen. Wenn wir also die Nährstoffe, die in unseren Hinterlassenschaften sind, in Form von kompostiertem Humusdünger wieder zurück in den Kreislauf bringen, könnten wir den vorhin angesprochenen Problemen wie Humusschwund, Phosphor-Peak und der Degradation der Böden entgegenwirken. Wir müssten kein Phosphor mehr abbauen und importieren, um damit unsere Felder zu düngen und könnten mit dem Humusdünger die Böden aufwerten.

Unser Sanitärsystem mit Kanalisation und Wasserspültoiletten funktioniert aber aktuell so, dass unsere Fäkalien mit Frischwasser vermengt in die Kanalisation geleitet werden, wo die enthaltenen Nährstoffe nicht verwertet, sondern unter hohem Energieverbrauch aus dem Abwasser entfernt werden. Festes und Flüssiges werden mühevoll wieder getrennt, das Abwasser energieintensiv gereinigt und die übrig bleibenden Klärschlämme verbrannt.

Wir kennen es von der Energiewende – und mit der Sanitärwende ist es nicht anders: Komplexe Systeme sind schwer zu vermitteln. Es ist schwierig, Menschen dafür zu begeistern und finanziell zu bewegen. Dazu kommt das gesellschaftliche Tabu, über Fäkalien zu reden. Seit acht Jahren kämpfen wir dafür, den Kot von unseren Festival-Kompostklos in Form von Humusdünger nutzbar zu machen – aber die Verwertung von Kacke berührt in Deutschland gleich drei Verordnungen: Die Düngemittel-, Bioabfall- und Klärschlammverordnung. Es braucht viel Geduld, gemeinsame Kräfte, Projektversuche und Vorarbeit, um politische Entscheider*innen hierfür zu mobilisieren. Aber wir sind dran!

 

SuD: Was sind eure zukünftigen Ziele für eine regenerative Zukunft?

Malte: Legalize (Sh)it! Auf dem Weg dahin wollen wir zeitnah eine eigene Verwertungsanlage für Trockenkloinhalte in Betrieb nehmen, um unsere Festival-Schiete unkompliziert zu kompostieren, für andere Trockenklo-Freund*innen eine Anlaufstelle zu sein und das Thema Kreislaufwirtschaft und Nährstoffrecycling noch nahbarer zu machen. Außerdem steckt unser Baby »Carbon Collectors« gerade erst in den Kinderschuhen, womit wir in den nächsten Jahren wirksam und lokal CO2 aus der Luft holen und es permanent im Boden versenken werden.

Bildreferenzen ©Goldeimer | 1. Hurricane 2019 ©Till Brüggemann | 2. Goldeimer VcA Äthiopien 2019 ©Stefan Groenveld | 3. Festival ©3Komma3 | 4. Goldeimer Seife Micha Fritz ©Andrin Fretz | 5. Enno Schröder ©Daniel Siefert | 6. Trockenklo ©Jessica Zumpfe

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