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Jonas-Mika Senghaas
Data Science Student | GenZ
02.09.2021 | Lesezeit: 6 Minuten

CHANGING CULTURES MAGAZIN > TRENDS > GenZ #1 Massenphänomen: Hip-Hop

Aus der Gen Z
#1 Massenphänomen: Hip-Hop

Drake, Travis Scott, Kanye West und Co - sie sind die Elvis Presleys und Beatles der Gegenwart. Identifikationsfiguren und Stars einer ganzen Generation. Unglaubliche 8,2 Milliarden Streams über Spotify im Jahr 2018 erreichte alleine Drake mit seinem Rekorde brechenden Album „Scorpion“. Er führt damit eine Liste von rund zwanzig Köpfen an, die momentan die Musikkultur international dominiert – mit keinem Ende in Sicht. Hip-Hop ist das am Stärksten wachsende Genre der Gegenwart, längst ist er auf den Kopfhörern weltweit zu hören, dabei war er noch vor gut zwei Jahrzehnten eine belächelte, zum Teil verhasste Subkultur. Wie wurde aus dem musikalischen Sprachrohr der afroamerikanischen Unterschicht ein Multimilliardendollargeschäft? Wie wurde aus Underground Mainstream?

Eine kulturelle Entschlüsselung der Erfolgsgeschiche Hip-Hop.

Ursprünge des Hip-Hops

Seine Ursprünge findet der Hip-Hop in der Geschichte der amerikanischen Sklaverei. Über zehn Millionen Sklaven erreichen den Kontinent – mit ihnen ihre Kultur. Sie bestimmte die spätere Hip-Hop-Musik maßgeblich. Hip-Hop erwächst aus den afroamerikanisch geprägten Armenvierteln der USA. Das zeigt ihr grobes Gerüst: Harte Rhythmik, Sprechgesang und Texte, die dem nicht erhörten Teil der Bevölkerung ein Sprachrohr geben. Sie verarbeiten Unmut und Unzufriedenheit, prangern Missstände und Ungerechtigkeit an und artikulieren damit politische Interessen. In seinen Anfängen, den 70er Jahren, ist Rap – ein Teil der Gesamtkultur Hip-Hop - noch ein Nischenphänomen. Er gilt als schmutzig, wird in höheren sozialen Schichten, auch durch aufkommende Gangsterrapper, gemeinhin geächtet.

Doch der Hip-Hop bleibt bestehen und entwickelt sich. Er wird zur Kultur, zum Lebensgefühl, das insbesondere von Jugendlichen aus der sozialen Unterschicht gelebt wird. Weite, tief getragene Hosen, zu große Hoodies, Sneaker, Caps, Breakdancing und Graffiti. Das alles gehörte zum Gesamtkunstwerk Hip-Hop. Das amerikanische Original, nach dem sich noch heute zum Teil nostalgisch gesehnt wird.

Rap – Ein Genre im Geist der Zeit

Musikrichtungen evolvieren, doch in dem Moment, in dem sich ein Genre gegen seine eigene Herkunft und Prinzipien stellt, ist es um die Musikrichtung meist schlecht gestellt. Hip-Hop scheint hier einen Ausnahmestatus zu genießen. Denn das, wofür er einst eintrat, ist kaum noch, was er heute verkörpert. Straße, Ghetto und Authentizität ist, wofür Rap stand. Die Rapkultur verstand sich immer als Gegenpol zur Mainstream-Musik, zeigte mit dem Finger auf Missstände in der Gesellschaft und polarisierte. Er bewegte sich damit in der Rolle des Undergrounds, des Herausforderer, des nicht verstandenen Teils der Gesellschaft.

"Das Bild zeigt den linken Arm von Drake, dem nach Zahlen
erfolgreichsten Rapper aller Zeiten. Die Karikierung des
legendären Albumcovers von „Abbey Road“ der Beatles
ist ein gewagter, weil arroganter, Affront mit Message:
Drake ist größer als die Beatles."

 

Das ist heute anders: Rapper sind und inszenieren sich bewusst als Superstars. Ihre Touren sind international ausverkauft, sie dominieren insbesondere den Streaming-Markt seit Jahren und über soziale Medien zelebrieren sie ein Leben in Dekadenz und Glanz. Nur das teuerste Essen, die teuersten Klamotten und Schmuck so teuer wie Einfamilienhäuser – der moderne Rapper macht keinen Hehl aus seinem Erfolg. Doch warum schadet das nicht ihrem Image?

Das Paradox zwischen ursprünglicher Maximen und der heutigen Außendarstellung kann nur aufgelöst werden, wenn man den Wandel versteht, den Hip-Hop durchgemacht hat. Denn die teuren Ketten der Rapper heute sind kein Verrat an den Ursprüngen, sondern Ausdruck eines Erfolgsweges, auf den man stolz ist und der bewundert wird. Wie kam es dazu?

Entwicklung zum Weltgenre

400.000€, über ein Kilogramm Gold und voll mit 150 Karat Diamanten:
Eine von Travis Scotts Ketten. - entstanden als Andenken an sein
Erfolgsalbum „Astroworld“.

Zum Ende der 2000er Jahre dankten die große Hip-Hop-Künstler ab und machten Platz für eine ganze Reihe junger, aufstrebender und ambitionierter Newcomer, die Hip-Hop einen erfrischenden, neuen Anstrich gaben. Moderne, meist melodischere Beats und Melodien ergänzten die musikalische Bandbreite des Genres, das zuvor noch von harten, repetitiven Beatabfolgen dominiert wurde.

Damit wurde aus dem schon tot geglaubten, ein dynamisches Genre, das innerhalb kürzester Zeit unzählige neue Künstler und damit auch Stile hervorbrachte. Das Genre diversifizierte sich, und bot so größeres Identifikationspotenzial. Der musikalische Wandel trug Früchte: Die neue Generation Rapper schüttelte ihr Image als Gangster ab und machte die Musik gesellschaftstauglich und interessant – Resonanz kam aus der ganzen Welt, in persona von Milliarden von Streams. Doch der Erfolg von Hip-Hop geht über musikalische Veränderung hinaus, er ist auch das Produkt eines geschickten Selbstinszenierungskonzepts, das den Zeitgeist trifft.

 

>> Verbindendes Element Social Media

Rapper sind meist selbst so jung wie ihre Zielgruppe. Sie kennen die Interessen der Jugendlichen, und verstehen es, diese zu bedienen. Auf ihren Social-Media-Plattformen erzählen die jeweiligen Künstler einem Millionenpublikum aus ihrem Alltag, berichten von Shows, drücken Dankbarkeit aus, kündigen und teasern neue Songs an und präsentieren ihren Lifestyle. All das schafft eine persönliche Beziehung zum Künstler. Dementsprechend viel Resonanz erzeugen Posts bei den Followern, die zu Zehntausenden per Kommentar und Like reagieren.

 

>> Musikalischer Wiedererkennungswert

Doch auch in der allgemeinen Präsentation und Vermarktung des Genres ist der Hip-Hop schon weit:

Sogenannte „Ad-Libs“ – das sind kurze, repetitive und dem Künstler eigene Soundfragmente – schaffen einen Wiedererkennungswert in den Songs. So kann oft schon oft vor der ersten Zeile rausgehört werden, von wem der Song stammt.

 

>> Netzwerkerweiterung durch Kollaboration

Ein weiterer Schachzug: Kollaborationen. Sie sind zwar keine Erfindung des Hip-Hops, ihre Häufung in dem Genre fällt allerdings ins Auge: Auf einem regulären Rapalbum sind mindestens die Hälfte der Songs in Kollaboration mit anderen Künstlern entstanden. Der positive kommerzielle Effekt muss nicht erklärt werden.

 

>> Verschmelzung von Kunstformen

Auch die Nähe des Hip-Hops zur Mode lassen viele Rapper nicht ungenutzt. Der mit vielen Kontroversen konnotierte Kanye West trieb das auf die Spitze. Zusammen mit Adidas veröffentlichte er 2015 seine erste limitierte Kollektion mit dem Namen „Yeezy Season 1“, die einen regelrechten Hype auslöste. Schuhe aus dieser Kollektion kosten heute über 1000€. Damit sind Rapper nicht nur Musiker, sondern Repräsentanten eines Lifestyles.

 

>> Selbstinszenierung in Medien

Auch dass Netflix, der größte und insbesondere in der Gen Z beliebte Streaming-Anbieter, Travis Scott eine eigene Dokumentation gewidmet hat, die ihn in seinem Arbeitsprozess an seinem Album „Astroworld“ und auf seiner Tour begleitet, passt in das Bild der großen Ambitionen des Genres.

Die Dokumentation zeigt beeindruckend, welche Energie, Kraft und Begeisterung in dem Genre steckt. Eine Mischung aus musikalischer Neuausrichtung, geschickter, zielgruppenangepasster Selbstvermarktung und auch dem gewissen Glück, den Zeitgeist getroffen zu haben – das ist die Erfolgsformel des modernen Raps.

 

Hip-Hop verstehen statt zu bekämpfen

... einer der kulturellen Codes zur Entschlüsselung der Gen Z!

Alben erfolgreicher als die Beatles. Konzerte begehrter, größer und spektakulärer als je zuvor. Publikum so international und groß wie nie. Wer Hip-Hop heute noch als Subkultur oder vorübergehenden Trend bezeichnet, verschließt die Augen vor der Realität.

Das Genre einer ganzen Generation wird die Zukunft beeinflussen – egal, wie viel Kritik aus der älteren Generation kommt. Sich vor der Musikrichtung zu verschließen, sie als falsch und schadend für die Jugend abzustempeln ist falsch und wird der Größe des Genres nicht gerecht.

Seinen Reiz und Charme kulturell zu entschlüsseln ist einer der Wege, die Gen Z zu verstehen. Denn Musik ist ein Blick in die Herzen – auch in meiner Generation.

 

Autor: Jonas-Mika Senghaas

Jonas-Mika Senghaas hat seine Schule vor einigen Monaten mit dem Abitur abgeschlossen und strebt nun eine Karriere beim FC St. Pauli an, wo er momentan in der U19 kickt. Parallel ist er Praktikant bei STURM und DRANG für die kommenden drei Monate und wird unter anderem das Autorenteam des „Future Culture Magazines“ ergänzen. In seiner Reihe „Aus der Gen Z“ bezieht er stellvertretend zu Themen Stellung, die seine Generation betreffen und beschäftigen.

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