#MINDSET2030

Paula Aracama Meyer
Angehende Sozio-Ökonomin
10.11.2021 | Lesezeit: 5 Minuten

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Circular Economy auf dem Vormarsch

Geteilte Verantwortung – Wie Konsumierende und Produzierende gemeinsam Nachhaltigkeit vorantreiben können

Recycling und Reparieren haben in Deutschland eigentlich eine lange Geschichte. Der Generation meiner Großeltern blieb zur Zeit des Krieges noch keine andere Möglichkeit, als achtsam mit dem Wenigen umzugehen, das sie besaßen und kreative Ideen für die Wiederverwertung nicht reparierbarer Gegenstände zu finden. Diese Wertschätzung haben wir in unserem auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystem allmählich verloren, sie abgelöst durch eine Ex-und-Hopp-Mentalität – kaufen, benutzen, wegwerfen. Dass diese Wirtschaftsweise nicht besonders ressourcenschonend ist und wir einem ernsthaften Müllproblem begegnen, ist keine Neuigkeit. Und auch wenn mittlerweile zahlreiche Initiativen wie Repair-Cafés ins Leben gerufen wurden, um dem entgegenzuwirken und sich auch politisch rund um das Recht auf Reparatur etwas bewegt, kann von einer Lösung des Problems keine Rede sein. Noch immer sind viele Produkte so gestaltet, dass sie nur schwer oder gar nicht zu reparieren sind. Allen voran sind hier elektronische Geräte zu nennen. Allein in Deutschland summiert sich der Abfall aus entsorgten Elektro- und Elektronikteilen auf 1,8 Millionen Tonnen jährlich, von den 124 Millionen funktionierenden Althandys, die noch ungenutzt herumliegen mal abgesehen.1

Werbung von Fairphone, wie ein Mann über das Handy springt

Der Großteil der heute produzierten Güter ist nicht auf Langlebigkeit ausgerichtet, wird mangelhaft gepflegt, nur selten repariert und stattdessen in der Regel ersetzt. Ursachen dafür sind auf der einen Seite das mangelnde Bewusstsein bei Konsumentscheidungen und die Abhängigkeit des Einkaufs von Modeerscheinungen, aber auch das mangelnde Wissen über den achtsamen Umgang mit Gegenständen und darüber, wie diese zuhause selbst repariert werden können. Viele Marken und Unternehmen profitieren vom Überflusskonsum, schnellen Updates, Sollbruchstellen und kurzen funktionalen wie emotionalen Halbwertzeiten ihrer Angebote. Dabei versprechen Reparatur und Recycling neben den offensichtlichen Vorteilen der Ressourcenschonung und des Klimaschutzes zum Beispiel auch die Schaffung von Arbeitsplätzen und sind allemal zukunftsfähig. Besonders die junge Generation ist etwa an einem achtsameren Konsum sowie einer nachhaltig gestalteten Produktion interessiert.

Etwa 25% der GenZ konsumiert wiederverwendbare Produkte. Ein Drittel ist sogar bemüht, ausschließlich Produkte zu kaufen, die sie wirklich brauchen. "Um die Gen Z langfristig als Kunden zu binden, sollten Unternehmen ihr Waren- und Serviceangebot sowie ihre ethischen Standards kritisch hinterfragen", heißt es laut einer OC&C-Studie.

Es lohnt sich für Unternehmen daher nicht nur aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes, sondern auch in Anbetracht der sich entwickelnden Konsumierendenbewegung, die Bedürfnisse dieser Zielgruppe zu kennen und zu befriedigen. Wie das aussehen könnte, zeigen bereits viele Unternehmen – zum Beispiel bei Sneakern, Handys oder Möbeln:

1. Fairphone

Ein Paradebeispiel für ein reparatur- und recyclefreundliches Design bildet etwa das niederländische Unternehmen Fairphone. Das nachhaltig hergestellte Smartphone zeichnet sich dadurch aus, dass es in wenige Einzelteile zerlegt werden kann. Dieses Design ermöglicht den Austausch von defekten Einzelteilen anstelle eines kompletten Neukaufs. Auch Upgrades von Einzelteilen werden dadurch möglich, ohne ein vollständig neues Modell kaufen zu müssen.

Eine kreative Möglichkeit, alten Handys noch einen Nutzen abzugewinnen, nachdem sie als solche nicht mehr verwendet werden, schuf zum Beispiel Topher White. Der Kalifornier baut aus ihnen solarbetriebene Abhörgeräte zur Rettung der Regenwälder. Als er sie 2013 auf Sumatra testete, konnten bereits am zweiten Tag Personen festgenommen werden, die illegal Bäume gefällt hatten. Die Geräte hatten die Geräusche der Motorsägen erfasst.1

2. Sneaker Rescue

Das Berliner Startup Sneaker Rescue repariert kaputte Sneaker und konzentriert sich damit auf die Verlängerung der Nutzung bereits verarbeiteter Ressourcen. In diesem Jahr hat das Unternehmen mit dem First Fair Sneaker nun auch einen eigenen Sneaker auf den Markt gebracht, in dessen Preis bereits die Reparatur und Entsorgung des Schuhs enthalten ist. Nach dem Kreislaufprinzip ist der Schuh so designed, dass er nach Ende seiner Tragezeit in seine Einzelteile zerlegt und recycelt werden kann.

3. Patagonia

Ein Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit ist zudem die Outdoormarke Patagonia. Seit 2017 kauft der kalifornische Kleidungshersteller in den USA über seine Website worn wear nun auch gebrauchte Patagoniakleidung von seinen Kund*innen auf, um sie nach einer Säuberung und Reparatur wieder zu verkaufen und somit die Nutzungsdauer von Kleidung zu verlängern, die sonst nicht mehr getragen würde. Patagonia gewährleistet zudem eine lebenslange Garantie auf die verkauften Produkte und animiert, informiert und unterstützt seine Kund*innen mit DIY-Reparatur Tutorials und Workshops bei der Verlängerung der Lebensdauer der Produkte.

4. Vitsœ

Vitsœ ist ein in Deutschland gegründetes Möbelunternehmen, welches seine Kund*innen dazu ermutigt, weniger und bewusster einzukaufen. Es wirbt für eine ausgesprochen lange Nutzungs- und Lebensdauer seiner Möbelstücke, die durch das zeitlose Design, die Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit sowie die Praktikabilität bei Umzügen erzielt werden. Die modularen Möbelsysteme werden außerdem so hergestellt, dass sie zum einen leicht repariert und die Wertstoffe außerdem optimal wiederverwertet werden können.

5. Homie

Das Startup Homie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Ressourcenverschwendung in der Haushaltsgeräteindustrie zu bekämpfen, indem es die Nutzung von Waschmaschinen und Trocknern verkauft. Während die Installation, Reparatur und Wartung durch das Unternehmen gewährleistet wird, zahlen Kund*innen pro Waschgang. Dieses innovative Pay-per-Use Modell sorgt für eine längere Lebensdauer der Maschinen und ebenso für ein verstärktes Bewusstsein für den Verbrauch bei Kund*innen und in der Folge für die Reduktion der Waschgänge und des Energieverbrauchs.

6. Akkutauschen.de

Wenn heutzutage insbesondere Haushalts- und Kleingeräte nach einer gewissen Zeit nicht mehr funktionieren, dann liegt das meist an dem Defekt eines einzelnen Bestandteils, wie zum Beispiel des Akkus. Das Hamburger Unternehmen Akkutauschen.de macht sich daher dafür stark, solchen Produkten durch neue Akkus eine zweite Chance zu geben, anstatt diese neu zu kaufen.

Über die geteilte Verantwortung für eine bessere Zukunft

Was all diese Unternehmen gemeinsam haben, ist eine erhöhte Transparenz, die Vertrauen schafft und Kund*innen bindet. Hier geht es nicht um Umsatzsteigerungen durch grüne Versprechen, auch wenn das oft ein willkommener Nebeneffekt zu sein scheint. Diese Unternehmen und die Menschen dahinter zeigen, dass sie ein ernsthaftes Interesse daran haben, den Überflusskonsum und das dadurch entstehende Müllproblem gemeinsam mit ihren Kund*innen zu bekämpfen. Der erste Schritt dorthin, den jedes Unternehmen gehen kann, ohne die Produktion aufwendig umstellen zu müssen, ist allein die ehrliche Aufklärung der Konsumierenden – über die Geschichte der Produkte vor dem Kauf, über eine nachhaltige Nutzung und Pflege, über Reparaturmöglichkeiten und schlussendlich über die richtige Entsorgung der Produkte.

Wer es dann so richtig ernst meint mit der Müllvermeidung, bietet einen umfangreichen Kund*innenservice an, der durch Hilfe bei der Entscheidungsfindung Fehlkäufe vermeidet, und legt von vorneherein Wert auf ein nachhaltiges Design in Bezug auf Pflege-, Reparatur- und Recyclemöglichkeiten. Eine nachhaltige Produktion zeichnet sich nämlich nicht nur durch ressourcenarme Herstellung und sozial verträgliche Arbeitsbedingungen aus, sondern durch die Verantwortung, die über den Zeitpunkt des Verkaufs hinaus gemeinsam mit Konsumierenden getragen werden sollte. Warum fangen wir also nicht jetzt gleich damit an, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen?

Referenzen 1: Katapult (2020). 102 grüne Karten zur Rettung der Welt (4. Aufl.). Suhrkamp. S.67 | Umweltbundesamt

Bildreferenzen "Header" // "Fairphone" // "Topher White" // “Sneaker1” // “Sneaker2”: Espen Eichhöfer // "Patagonia" // "Vitsœ" // "Homie" // “Repair”

 

 

Autorin: Paula Aracama Meyer

Paula Aracama Meyer studiert Sozio-Ökonomik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und begeistert sich für die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit den Themen Nachhaltigkeit und Konsum sowie für Strukturtheorien, welche individuelles Handeln durch gesellschaftliche Strukturen begründet sehen.

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