Markenführung durch Social Design
Starke Marken geben Mitarbeitern und Kunden Halt, weil sie Haltung zeigen und einen festen Platz im Lebensalltag der Konsumenten einnehmen. Dabei geht es schon heute nicht mehr allein um den individuellen Kundennutzen, sondern um die Chancen einer gemeinsamen Gestaltung einer positiven Zukunft. In diesem Artikel möchten wir Aufschluss darüber geben, welche Rollen Marken und Unternehmen in der Lebenswelt der Konsumenten spielen, welche Orientierung sie geben und welche Verhaltensanreize für eine wünschenswerte Evolution sie setzen können.
Die Marke übernimmt gesellschaftliche Verantwortung und begleitet ihre Anhänger
im Prozess des Werdens, der seine Faszination und Triebkraft erst durch die spannungsgeladene Aushandlung von Werten innerhalb einer Gemeinschaft erfährt.
Wenn für Konsumenten die Chance auf reziproken Austausch im Sinne einer gemeinsamen Zukunftsgestaltung immer wichtiger wird, muss sich auch die zukünftige Markenführung vermehrt der Gestaltung der interpersonellen Beziehungsqualität zuwenden. Eine Chance für aktive Brand Communities.
1. Die Rolle von Marken in der aktuellen Wirtschafts-Transformation
Die Corona-Krise hat uns in eine weltweite Werte-, Normen- und Beziehungs-Disruption geführt. Auf den ersten Schock folgte ein Innehalten, das nun die Chance für eine Transformation mit sich bringt. Abgesehen von massiven politischen und wirtschaftlichen Veränderungen können wir aktuell anhand zahlreicher gesellschaftlicher Signale beobachten, wie wir uns in einer Neuaushandlung unseres Miteinanders befinden: So wird Distanz unter den neuen Bedingungen zu Herzenswärme, Einsamkeit zu einem Gemeinschaftsgefühl und der Stillstand zu einer Chance für den Wandel.
In unserer schnelllebigen Welt herrscht ein Überangebot an Konsummöglichkeiten, dessen pure Existenz uns nicht glücklich macht – ganz im Gegenteil. „Anstatt Lebensqualität in der Währung von Ressourcen, Optionen und Glücksmomenten zu messen“, so formuliert es der Soziologe Hartmut Rosa, „müssen wir unseren Blick auf die Beziehung zur Welt richten, die dieses Leben prägt.“ (2016) Das Gegenmittel zur weit verbreiteten Erfahrung der "Entfremdung" sind demnach "Resonanz- erfahrungen", mit denen Menschen in der Welt (neuen) Anklang finden können.
In einer Welt voller Optionen, in der sich die Wirklichkeit nicht mehr von selbst versteht, ist die Erzeugung einer solchen spürbaren Schwingung demnach die größte Herausforderung und gleichermaßen Chance für Marken. Im Falle des Social Design, um das es hier vornehmlich gehen soll, schlüpft die Marke dabei in die Rolle einer Beziehungsstifterin oder Vernetzerin. Ihre Aufgabe ist es, einen Resonanzraum zu erzeugen, in dem sich Anteilnehmer in ihren geteilten Einstellungen, Werten, Sorgen, Sehnsüchten und Sinnstiftungen wiedererkennen können. Innerhalb einer solchen Community vollzieht sich ein stetiges Prototypisieren der Zukunft, das durch eine starke und vor allem gesellschaftsrelevante (Marken-) Vision moderiert wird. Die Markenvision wird dabei durch die wechselseitige Interaktion aller Akteure mit vielen individuellen Lebensentwürfen aufgeladen und stetig weiterentwickelt. Dieses Miteinander hat schließlich das Potential in einer gesellschaftsrelevanten Transformation zu münden.
2. Brand Community-Building durch Social Design
Ob Beziehungsintensität mithilfe von Brand-Spaces, wie der VW-Autostadt oder dem Moleskine Café evoziert wird oder aber in Online-Communities: Sowohl virtuell, als auch analog, rückt die Marke näher an den Endkonsumenten und seine Lebenswelt heran. Bislang findet diese Annäherung im digitalen Mainstream vor allem in sozialen Netzwerken – auf Facebook, Instagram & Co statt.
Wie wichtig das Design eines funktionierenden Beziehungsnetzwerkes ist, wird beim Blick auf die Charakteristika der digitalen Plattformökonomie offensichtlich. Bekannte Beispiele hierfür sind Airbnb, Uber, Amazon, Ebay oder die App-Stores von Apple. Auf einer digitalen Plattform kommen die Anbieter von Produkten mit möglichen Kunden zusammen. Der Plattform-Betreiber muss selbst keine Waren herstellen oder Dienste anbieten, er betreibt nur einen digitalen Marktplatz. Dabei wird ein entscheidender Aspekt deutlich: Wenn das eigentliche Produkt die Vermittlung und das Matching innerhalb der Nutzergemeinschaft ist, wird die Beziehungsqualität der Nutzer untereinander zum Indikator für den Unternehmens- und Markenwert.
Intensität als Konsumwährung
Nun ist bekannt, dass nicht gleich jede Leistung im Markt mit dem Design sozialer Systeme gleichzusetzen ist. Dennoch eignen sich Beispiele aus der Plattformökonomie dafür, die zukünftige Aufgabe von Marken besser zu verstehen. Brand Communities entstehen gerade um solche Marken herum, die in der Lage sind, abseits des materiellen Produkts eine Haltung einzunehmen und zu bewegenden kulturellen Entitäten zu werden.
In Brand Communities geht es nicht mehr um Produkte und Services, sondern um deren stimmige Einbindung in die Lebenswelten von Konsumenten. Im Idealfall intensivieren sie den Konsumentenalltag. Die Erfahrung dieser Intensität wird dabei zur neuen Währung im kulturellen Miteinander. Sie bildet einerseits die Brücke zwischen zwei Zuständen des Konsumenten, ein individuelles Vorher-Nachher, andererseits die Brücke zwischen mindestens zwei Nutzern im digitalen Raum, die durch das geteilte Erlebnis verbunden werden. In beiden Fällen stiftet sie Beziehungen – eine intensive Beziehung zum Selbst oder eine intensive Beziehung zur Welt. Brand Communities sind Räume, in denen diese intensiven Beziehungen im Gravitationsfeld von Marken aufgebaut und gepflegt werden.
Dabei sind Marken zunächst einmal Versprechen, beispielsweise eines besseren Lebens im Falle von Konsumgütern. Dieses Versprechen zeigt sich in Brand Communities besonders intensiv: Wenn Konsumenten nach sinnstiftenden Mustern suchen und Marken sich erfolgreich als Träger von Werten, Haltungen, Normen und Lebenspraktiken profilieren, dann kann ein Raum entstehen, der Konsumenten diese Aushandlung ihrer eigenen Identität ermöglicht. Wie im richtigen Leben auch, in dem Menschen zueinander finden, weil sie gemeinsame Gefühle oder Lebensstile verbinden und sie deshalb glauben, füreinander bestimmt zu sein, verbindet Marke und Brand Community die Gemeinsamkeit ihres Wertesystems.
Entstehung von Brand Communities
Brand Communities haben eine triadische Struktur: Die Marke steht in direkter Beziehung zu Konsument A und Konsument B. Konsumenten stehen darüber hinaus in direkter Beziehung zueinander. Die Einführung der Netzwerklogik bedeutet für Konsumenten, dass sie zusätzlich zur direkten Verbindung auch indirekt – über das reziproke Netzwerk – miteinander in Verbindung stehen. Somit weicht die traditionelle Business-to-Consumer-Kommunikation heute einer Business-to-Network-Kommunikation.
Im Austausch über Marken fühlen sich Mitglieder auf geradezu intime Weise miteinander verbunden: „Members feel an important connection to the brand, but more importantly, they feel that they ‚sort of know each other‘ at some level, even if they have never met“ (Muñiz und O’Guinn 2001, S. 418). Die hier beschriebene Verbundenheit stellt sich jedoch nicht einfach so ein, sie wird in Form von Beziehungen gestaltet; und eben hierin liegt das Potenzial von Marken. Dabei steht die Marke längst nicht im Mittelpunkt von Brand Communities. Es gibt kritische Stimmen, die gar bezweifeln, dass Brand Communities mit vorrangiger Markenzentrierung überhaupt existieren. Das heißt, nicht der hedonistische Wunsch ein Produkt zu besitzen, sondern eine bereits vorrangig dagewesene Werthaltung und Motivation, führt Menschen in Communitys zusammen. Der Grund warum beispielsweise Harley-Fahrer zusammenkommen ist, ihre Passion für einen „Riding-Lifestyle“.
Die Harley dient Menschen als kulturelles Symbol, um eine Assoziation mit Gleichgesinnten zu ermöglichen. Forschungsergebnisse zeigen, dass das Verhalten in Brand Communites stark durch die Möglichkeit einander gegenseitig zu bestätigen, Verbindung zueinander aufzubauen oder ähnliche Standpunkte in Diskussionen einzunehmen, modelliert wird. Genau diese Formen des Austauschs und der Beziehungsbildung zu ermöglichen, ist die neue Aufgabe von Marken - in anderen Worten: Markenführung durch „Social Design“.
Die Marke als Gesellschaftsgestalterin
Nicht erst seit Corona erleben wir eine weltweite Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir unser Zusammenleben und den Planeten, auf dem wir leben, schützen können. Immer mehr Menschen, besonders die jüngeren Generationen, engagieren sich privat oder beruflich, weil sie etwas zum Guten verändern wollen. In einer Welt, in der wir eine Kapitalisierung sämtlicher Lebensbereiche erleben, kommt nun auch Unternehmen eine eben solche Funktion zu. Social Design, in seiner ursprünglichen Form, setzt auf transparente Gestaltungsprozesse mit einer Vielzahl von Akteuren. Ein Grundprinzip ist der gleichberechtigte Austausch und die gemeinsame Entwicklung von Ideen und Lösungsstrategien. Ein wesentliches Ziel in diesem ko-kreativen Prozess ist die Teilhabe der projektbeteiligten Menschen, ihre Ermächtigung zum selbstbestimmten Handeln und zur eigenständigen Weiterführung der gestalterischen Aktivitäten. Die Gestalter des Prozesses verstehen sich dabei als Partner, die ihr Wissen dem Projekt und den Beteiligten zur Verfügung stellen und die gestalterische und nachhaltige Qualität des Projekts im Blick behalten. Aber was bedeutet dies nun für Unternehmen und ihre Markenführung?
3. Die Markenführung der Zukunft - Techniken des Social Design
Bewährte Grundsätze der Markenführung bleiben zwar bestehen, was zunächst bedeutet: Wie kann die Marke das Leben des Anhängers intensiver, besser, einfacher machen? Stärker als bislang sollte aber die Frage nach dem Purpose betont werden: Warum hat die Marke einen Platz in der Welt der Konsumenten verdient? Was ist der Beitrag der Marke zur Lebenswelt der Konsumenten? Wie kann die Marke neue Gedanken, Ideen, Pläne, Ziele und Wünsche, neue Situationen, in denen Gemeinschaft gespürt wird, in den Alltag bringen?
Auf eine Kurzformel gebracht: Im 21. Jahrhundert wird das Kapital der Marken vor allem darin liegen, Beziehungen zwischen Menschen zu intensivieren, um kulturelle Veränderungen zu produzieren. War zuvor die Marke das Ziel des Konsums (und des Konsumenten), so ist die Marke jetzt eher der Weg in eine neue, relevante und sinnhafte Art der Lebensgestaltung. Da Konsumenten ihre persönlichen Entwürfe von Zukunft durch ihren Konsum an die Marke herantragen, muss es für Letztere darum gehen, Entwürfe und Ziele innerhalb ihrer Community zu unterstützen, hierfür Projektionsflächen und Spielflächen zu designen.
Umsetzungsbeispiele
Wie kann das konkret umgesetzt werden? Beispielsweise kann die Marke in Projekte investieren, die der Community helfen, ihre Vorhaben zu erreichen; Dinge verschenken, die sich die Community selbst nicht leisten kann; durch Angestellte, Zeit und Wissen in die Brand Community einbringen; Beziehungen knüpfen, die für die Community wichtig sein können; die „brand power“ nutzen, um auf Bemühungen der Community aufmerksam zu machen. Inkrementelle Strategien und ein empathischer Umgang mit der Community können also bereits genügen, um sinnstiftend zu wirken. Einige werden sich an die Schlagzeilen Ende 2018 erinnern, als CEO Rose Marcario vom Outdoor Hersteller Patagonia bekannt machte, dass sie die 10 Millionen Dollar an Steuersenkung, die durch die republikanische Politik hervorgingen, spendete, um den Planeten zu retten.
Konfliktgeladene Narration
Neben der Unterstützung ausgewählter Bewegungen und Vorhaben kann das Management von Bedeutung darin bestehen, mit Spannungen zu arbeiten, die eine gesellschaftliche Relevanz besitzen. Erst im Konflikt entstehen faszinierende Geschichten, und erst in Geschichten werden Marken voll erfahrbar. Konflikte sind die Energie in sozialen Systemen. Nur durch Irritation und Spannung bewegen sich Systeme fort. Und damit kommen wir zur wichtigsten Technik des Social Designs – der Narration.
Im herrschenden „Big Data“-Zeitalter wird die Flut an Informationen nicht genügend mit Sinnangeboten verknüpft. Geschichten sind eine Art „menschliche Systemsoftware“: Wir denken und verstehen die Welt in Form von Geschichten am besten. Und ziehen über Geschichten die Bedeutung und Sinn aus der Welt. Marken sind erzählbare Geschichten in den von Gesprächen dominierten Märkten. Im Kern jeder Geschichte und damit auch jeder Marke lebt ein Konflikt, der der Geschichte Spannung, Energie und dadurch Relevanz verleiht. Es geht bei guten Marken-Geschichten nicht um die heile Werbewelt der Superlative, sondern um die stabile Energie, die aus widersprüchlichen Gefühlen stammt.
Doch was passiert mit Geschichten im Zeitalter der persönlichen und sozialen Medien? Durch die Aufhebung des klassischen Sender-Empfänger-Modus werden Geschichten stärker erfahrbar. Die Marke wird zu einer spannenden, spielbaren, nicht-linearen Geschichte, in der Marke und Mensch gleichsam Protagonisten sind. Wenn also moderne Marken als Narration begriffen werden und der Konflikt als ihr Motor, dann ist moderne Markenführung eine kulturelle Strategiearbeit – und „Brand Scripting“ wird zugleich die Form des Community-Managements.
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Autoren: Stefan Baumann & Patrick Eberwein
Konsumpsychologe Stefan Baumann entwickelt Markenvisionen, Transformations- und Innovationskonzepte auf Basis von Insights über Konsumkultur im Wandel. Besonders gerne berät er inhabergeführte Unternehmen, die über eine Erneuerungsstrategie wieder mehr Relevanz in einem veränderten Marktkontext gewinnen wollen.
Patrick Eberwein ist Organisationspsychologe mit einer Vorliebe für gesellschaftsrelevante Themen. Mit seiner Arbeit verfolgt er das Ziel wirtschaftliche und soziale Interessen wieder stärker zu vereinen. Zwischen Bachelor- und Masterstudium arbeitete er als rekonstruktiver Sozialforscher und erforschte die Lebensrealitäten der Bevölkerung in Wien. Heute beschäftigt er sich mit sinnorientiertem Arbeiten, wünschenswerten Zukünften und unterstützt Organisationen in Transformationsprozessen.
Bildreferenzen
Bild 1: Position // Bild 2: Vision // Bild 3: Online Plattform // Bild 4: Communities // Bild 5: Social Design // Bild 6: Beziehungen // Bild 7: Patagonia
CHANGING CULTURES MAGAZIN
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