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Wiebke Eberhardt
New Business und Marketing Strategist
02.09.2021 | Lesezeit: 4 Minuten

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Selfie mit dem Meister

Mit kreativen Aktionen und digitalen Vermittlungsformen sorgen Museen nicht nur für Besucherrekorde, sondern entwickeln sich immer mehr zu einem Ort des Inszenierens und Erlebens. Viele Ausstellungshäuser haben mittlerweile eigene Social-Media-Accounts, laden laufend zu Events ein und wecken damit auch die Neugier neuer Zielgruppen. Vor allem das Art-Selfie spielt eine große Rolle im Museumsmarketing, das die Besucher immer stärker einbindet.

Tagtäglich entstehen in nahezu allen Museen der Welt neue Art-Selfies. Menschen setzen sich vor einem Kunstwerk mit dem Smartphone in Szene, um es dann im Internet hochzuladen. Die Zahl an Fotos, auf denen jemand mit Kunst interagiert, ist unüberschaubar. Wer derzeit bei Instagram unter dem Hashtag #museumselfie oder #artselfie schaut, erhält um die 38.500 Beiträge. Andere zeigen, wie jemand die Pose eines Kunstwerks imitiert (#musepose) oder Menschen, die sich Kunst anschauen (#artwatchers). Auch die alten Meister werden dabei nicht verschont und halten sich wie selbstverständlich das Smartphone vor die Nase.

 

Aber was macht das Art-Selfie so reizvoll? Ist es der Drang nach Selbstinszenierung? Christina Hoffmann von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hat eine Erklärung: „In einigen Fällen sollen die Selfies eine gewisse Kunstexpertise übermitteln, einen eigenen Wesenszug unterstreichen, aber auch den „Beweis“ liefern, das Original vor Augen zu haben.“ Die Faszination von Selbstporträt-Schnappschüssen zwischen Kunstwerk und Museumsraum ist ungebrochen. Wer nicht mehr nur Betrachter und Bewunderer von Kunst sein will, wird ein Teil von ihr. Auch Hoffmann sieht hier einen allgemeinen „Trend zur Teilhabe“.

© Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Schon die alten Meister waren vom Selbstporträt fasziniert. Entsteht hier vielleicht sogar eine neue Form der Kunst? Dieser Frage geht die Londoner Saatchi Gallery in ihrer Selfie-Ausstellung „From Selfie to Self-Expression“ ab dem 31. März nach. Die Gallery gilt als einer der Spitzenreiter in den sozialen Medien, die mittlerweile für viele als wichtiger Partner zum Museumsalltag dazugehören. Bei Führungen kommt schon mal das Tablet zum Einsatz, um weitere Bilder zu zeigen, unterhaltsame Apps begleiten den Museumsbesucher durch die Ausstellung und Social Media Events sorgen für zunehmende Besucherzahlen. Auch Jannikhe Möller vom Städel Museum in Frankfurt bestätigt dies: „Facebook, Twitter, Instagram, YouTube oder der Städel Blog sind für uns nicht mehr wegzudenken.“ Fans erhalten hier Schnappschüsse aus dem Museumsalltag und Informationen, zum Beispiel zu Ausstellungsvorbereitungen sowie Einladungen zu Fotocontests, InstaMeets, -Walks und Artquizzen (#artquiz). Bei den Empty-Events etwa haben die Instagrammer die Ausstellungsräume ganz für sich allein und teilen ihre persönlichen Eindrücke im Netz – Je mehr Follower diese haben, desto besser für das Museum. Und beim alljährlichen Museums-Selfieday verwandeln sich viele Kunstwerke zu Fotohintergründen für Kunst- und Fotografieliebhaber auf der ganzen Welt (#museumselfieday). Die Museen binden ihre Fans mitten ins Geschehen ein und fördert deren Interaktivität und Kreativität. Der Nutzen aus Museumsperspektive ist groß: Man erreicht nicht nur neue, meist jüngere Zielgruppen, sondern zeigt seine persönliche Seite und schafft damit Nähe zum potentiellen Besucher.

Der direkte Dialog mit den Fans und die spielerische Annäherung helfen auch, schwierige Inhalte besser zu vermitteln. „Dadurch können Berührungsängste bei der Begegnung mit Kunst abgebaut werden“, erklärt Jannikhe Möller. Aktionen, bei denen sie etwa die Pose eines Ausstellungsstücks nachahmen und sich dabei fotografieren lassen, bieten den Besuchern einen Rahmen zur Selbstinszenierung. Aktuell bietet dazu die Ausstellung #participate – Mach dich zum Kunstwerk im Osthaus Museum in Hagen mit 24 interaktiven Exponaten ausreichend Gelegenheit – fotografieren und teilen ausdrücklich erwünscht. Museen steigern so nicht nur ihren Bekanntheitsgrad, sondern bleiben auch im Gespräch.

© AA Reps, New York, USA, 2016. Nach Edvard Munch, Der Schrei und Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus, CGI. Osthaus Museum Hagen.

Eine geradezu optimale Plattform für Museen, um Teile ihrer Sammlung online auszustellen, ist Pinterest. Das J. Paul Getty Museum in Los Angeles gehört mit fast einer Million Follower und insgesamt 5000 Pins zu den aktivsten auf diesem Kanal. Viele Museen sortieren auf Pinterest ihre Exponate thematisch oder nach Künstler. Das macht neugierig und bringt vielleicht auch den sonst eher unregelmäßigen Museumsgänger dazu, einmal vor dem Original stehen zu wollen. Schon 2011 hat das Google Art Project dafür erste Maßstäbe gesetzt. Hier werden mittlerweile mehr als 45.000 Kunstwerke von über 250 Kulturinstitutionen präsentiert. Die Seite lädt unter anderem zu virtuellen Führungen mit Audiobeiträgen und Videos von Kuratoren ein, wie zum Beispiel durch 500 Jahre britischer Kunst aus der Londoner Tate Gallery. Das Frankfurter Städel Museum wiederum lässt Kunstinteressierte in seinem multimedialen Onlinekurs anhand von rund 250 ausgewählten Werken aus der Sammlung kostenlos ihr Wissen über moderne Kunst erweitern – und wird dafür mit Aufmerksamkeit belohnt.

Dass Bilder von Ausstellungswerken aus dem Museum ins Internet gelangen, ist heute kaum zu verhindern. Für viele gehört das Smartphone zum Besuch eines Museums dazu. Aber auch die Museen profitieren, wenn ihre Bilder in die Lebenswelten ganz unterschiedlicher Menschen gelangen, auch über die eigene Stadtgrenze hinaus. Zudem sind die im Netz hochgeladenen Bilder eine wahre Fundgrube an Informationen über die Zielgruppe. Welche Werke sind für Besucher interessant und was assoziieren sie damit? Art-Selfies beeinflussen aber nicht nur die Museumsarbeit, sondern auch unsere Wahrnehmung von Kunst, weil sie den Charakter eines Werkes verändern können. Schon Marcel Duchamp sagte: „Ein Kunstwerk existiert dann, wenn der Betrachter es angeschaut hat.“

 

Titelfoto: © AA Reps, New York, USA, 2016. Nach Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus, CGI, aus der Ausstellung „#participate: Mach dich zum Kunstwerk“ im Osthaus Museum Hagen

Fotos © Städel Museum; AA Reps, New York, USA, 2016. Nach Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus und Edvard Munch, Der Schrei, CGI. Osthaus Museum Hagen; Staatliche Kunstsammlungen Dresden

 

 

Autorin: Maike Niet

Maike Niet arbeitet als freie Journalistin in Hamburg. Ihre Schwerpunktthemen sind Psychologie, Medizin und Kunst.

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