
Teil 1 | TikTok Ästhetik und Deepfake Beauty
Dieser Vortrag wurde beim diesjährigen digitalen Roundtable 2021 beim IKW Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e.V. von Europa Bendig gehalten.
Über die Schönheit im "new normal"
Die Begriffe Schönheit und Attraktivität haben ihre klare Form und Linearität verloren. Durch Zoom, Snapchat, TikTok etc. verändert sich unsere Wahrnehmung – wir sehen die Welt in motion. So entsteht empfundene Attraktivität nicht mehr in erster Linie durch statische Bilder und Gesichter, sondern auf Basis bewegter Bilder. Es bildet sich ein immer größeres Sammelbecken – ein kultureller Raum – in dem es um mehr geht als Symmetrie, Jugend und Kindchenschema. Dieser Artikel lotet diese neue, nicht-statische Ästhetik für Schönheit, Haut und Altern aus und stößt die Diskussion über eine zyklischere, nachhaltigere Schönheit der Zukunft an.
Generation copy & paste braucht Resonanz und übt Manipulation

Gerade jüngere Nutzer sind äußerst kompetent hinsichtlich Transformationen: Ihnen fällt es leichter sich zu verwandeln oder anzupassen und kreativ mit Content im Web umzugehen. Bei Stil und Schönheit sind Plagiate erlaubt, sogar gewünscht. Es wird kopiert und imitiert, um eine Resonanz zu erzeugen – so entsteht Heimat im Netz. Je ähnlicher sich Menschen sind und je mehr Gemeinsamkeiten sie haben, desto eher stimmt die Chemie zwischen ihnen. Diese sogenannten Spiegelneuronen sind nicht nur beim Einfühlungsvermögen und bei Mitgefühl relevant, sie spielen auch in der Sympathie eine Rolle. Denn wer uns ähnlich ist, den mögen wir – und natürlich umgekehrt. Dieses Phänomen nennt man in der Forschung Resonanzphänomen. Menschen, die sich mögen, gleichen unbewusst ihre Körpersprache an, nutzen in gemeinsamer Kommunikation dieselben Worte oder imitieren unbewusst die Mimik ihres Gegenübers. Allerdings besteht hier auch eine Gefahr der Manipulation: Durch Imitation von Körpersprache, Gestik und Mimik können wir subtil Sympathien wecken und nicht immer genau sagen, wann unser gegenüber ein authentisches Verhalten zeigt und welches Ziel damit verfolgt wird.
Neue Wahrnehmung: Wie KI dein Gesicht bewertet

Die technischen Entwicklungen beschleunigen die Möglichkeiten der Anpassung und Transformation noch: „Instagram faces“, Beauty Filter und Effekte bei TikTok etc. führen zu einer Gleichheit, die selbst ethnische Zugehörigkeiten auflöst. Alle sehen sich immer ähnlicher, denn Originale sind flüchtig – Teilen schafft den neuen Durchschnitt.
Und dann ist da noch die Künstliche Intelligenz – Schönheit als Algorithmus. Qoves beispielsweise liefert eine Liste der „Makel“ und schlägt chirurgische Behandlungen und Beautyprodukte vor. ‚How normal am I‘ bewertet Schönheit mit Hilfe von KI. Interessanter sind jedoch die Algorithmen, die im Verborgenen wirken, denn sie lernen mit dem zur Verfügung gestellten Material. Dies führt dazu, dass immer häufiger aussortiert wird, was unterrepräsentiert ist. Die Algorithmen von TikTok unterdrückten beispielsweise Videos von Nutzern, die bedürftig oder unattraktiv erschienen, sowie Menschen mit Behinderungen.
Kognitive Verzerrung: self-fullfilling prophecy
Diese realitätsferne Definition und Darstellung von Schönheit beeinflusst unsere eigene Wahrnehmung erheblich. Wir verspüren manchmal den Wunsch abzuschalten, wenn wir unser eigenes Gesicht ständig 'live' auf dem Bildschirm sehen. Man fängt an, die Art und Weise zu analysieren, wie man spricht, seine Mimik und sein Aussehen im Allgemeinen. Auf einem Foto wird jedoch nur ein Moment eingefangen, wodurch wir leichter unser Aussehen akzeptieren können. Die animierte Version unserer selbst sorgt hingegen bei vielen für Befremdung und unangenehmen Gefühlen. Filter sorgen für Abhilfe, aber das Unbekannte erscheint uns meist trotzdem ungewohnt. Der "Mere-Exposure-Effekt" beschreibt das Phänomen, wie wir uns über die Jahre nicht nur an den Anblick unseres eigenen Spiegelbildes gewöhnen, sondern es im Laufe der Zeit auch positiver bewerten. Je häufiger wir uns im Spiegel sehen, desto besser finden wir uns. Auf einem Foto oder im Film dagegen sehen wir uns so, wie andere Menschen uns sehen – das erscheint uns merkwürdig, da wir nicht unser gespiegeltes Bild sehen, sondern „richtig“ ausgerichtet. Womit wir auch unsere gewohnten Asymmetrien plötzlich spiegelverkehrt sehen – das erachten wir wiederum als ungewohnt und damit unattraktiv. Mit dieser kognitiven Verzerrung schaffen wir uns selbst ein Umfeld in dem unsere Erwartungen quasi nie bestätigt werden. Je selbstkritischer wir werden, desto mehr achten wir auf unsere Unbeholfenheit.
Shaming-Hot: Schönheit ist Selbstvertrauen

Durch diese künstlichen Optimierungen und die ‚copy culture‘ fallen Abweichungen auf. Authentische, echte Körper und Gesichter werden im digitalen Kontext immer ungewöhnlicher. Das hat Konsequenzen – der aktuelle „World Happiness Report“ legt in seinen Studien dar, dass Teenager noch nie so unglücklich waren, wie heute im Social Media-Zeitalter, in dem sie täglich der Konkurrenz auf den Plattformen und der Bewertung von anderen ausgesetzt sind. Eine weitere Studie aus UK belegt, dass besonders junge Frauen zu Depressionen neigen, wenn sie täglich Social Media verwenden, da sie sich mit anderen Frauen vergleichen.
Umso wichtiger sind für die GenY und GenZ Idole wie Billie Eilish, die Zeichen gegen body shaming setzen: „If I wear what is comfortable, I am not a woman. If I shed the layers, I’m a slut. Though you’ve never seen my body, you still judge it, and judge me for it. Why?“ – Billie Eilish
... Entdecken Sie 5 Trends, die Beauty neu beleuchten: vom Sein zum Werden, vom Ich zum Kollektiv, von Form zu Energie, von Produkt zum Prozess, von Identität zu Kunst in Teil 2 Beauty in flow – was definiert die Schönheit der Zukunft?
CHANGING CULTURES MAGAZIN
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