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Jennifer Jordan & Karolina Braun
Cultural Researcherin & Designerin
02.08.2022 | Lesezeit: 6 Minuten

CHANGING CULTURES MAGAZIN > TRENDS > Von Körperscham zu Period Pride

Von Körperscham zu Period Pride

Eine visuelle Analyse

"Das Wiederanfüllen mit sinnstiftenden Inhalten, die Annäherung an das Tabuisierte trägt zu einem friedlicheren Verhältnis zwischen Männern und Frauen bei und unterstützt Frauen darin, ein positives Bild von sich und ihrem Geschlecht zu entwickeln.' – Celeste Moerstedt

Die Rollen von Frau und Mann verschieben sich. Aktuelle Genderdiskurse über das Aufbrechen typisch weiblicher oder männlicher Geschlechterrollen, zeigen den Willen unserer Gesellschaft zum Wandel. Der Weltfrauentag ist dafür ein passender Anlass, um einen genaueren Blick auf unsere Kultur zu werfen und einen visuellen Code aufzugreifen, der ein sich wandelndes kulturelles Narrativ zum Ausdruck bringt: Die Menstruation. Lesen Sie in unserer kulturellen Analyse dieses Jahrhunderte alten Narrativs wie sich die Bildsprache wandelt, welche Rollen weibliche Selbstakzeptanz und -liebe in der Gesellschaft spielen und wie Marken und Unternehmen ihren Teil zu einer aufgeklärten Zukunft beitragen können.

Obwohl die Menstruation wesentlicher Bestandteil des weiblichen Zyklus ist – mit der sich etwa die Hälfte der Weltbevölkerung monatlich auseinandersetzt – ist ihre Kulturgeschichte durchzogen von Tabuisierungen und Stigmatisierungen. Das Thema Menstruation spiegelt dabei auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft wider; historisch betrachtet wandelte sich das Bild von der Frau als fruchtbare Mutter hin zur emanzipierten Individualistin und Strategin. Es geht um das Wiederherstellen einer normalen Körperwahrnehmung und die Revision von Scham. Daher soll uns der hier aufgezeigte Code und die damit verbundenen kulturellen Ausdrucksformen, zum Nachdenken oder sogar Umdenken inspirieren.

Auch wenn hierzulande die wenigsten Frauen grundsätzlich ein Problem damit haben, über die Menstruation zu sprechen, liefert eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Splendid Research aus dem Jahr 2019 unter mehr als 1.000 Frauen klare Einsichten, wie schambehaftet das Thema für manche noch ist: 15% der befragten Frauen empfanden ein Gespräch über die Periode als unangenehm, für knapp 11% sei der Erwerb von Hygieneartikeln problematisch. Der Umgang mit Menstruation im Alltag westlicher Industriegesellschaften ist von deutlichen Ambivalenzen geprägt: Zwar wird die Menstruation häufig als 'normal' oder 'natürlich' bezeichnet, sichtbar soll die Menstruation im Alltag aber nicht sein. Entsprechende Hygieneartikel wie Tampons und Binden sollen einen 'sauberen' Umgang mit der Menstruation garantieren, aber auch im Badezimmer oder auf der Toilette möglichst nicht auffallen.

Der Umgang in der Gesellschaft, der Werbung mit blauen, neutralen Flüssigkeiten, die bloß nicht an Blut erinnern sollen und im Schulunterricht ist folglich nicht aufklärend, sondern führt zu einem gegenteiligen Gefühl des Körperschams. Themen, wie „Schutz vor Auslaufen“ suggerieren Frauen, dass ‚peinliche‘ Situationen vermieden werden müssen und beeinflussen sie somit in Bezug auf ihre Körperwahrnehmung. Ein Austausch über Sorgen und Erfahrungen kann dabei oft nur mir der besten Freundin, der Mutter oder in manchen Fällen dem/r ÄrztIn stattfinden. Laut einer neuen Studie, dem SCA Hygiene Report, hat nur jede fünfte Frau mit dem Partner je über ihre Menstruation gesprochen, oft aus Scham verletzlich und angreifbar zu sein. Denn wenn Frauen kompliziert werden, zickig sind, sich nicht so verhalten, wie manche das erwarten oder wünschen, dann heißt es schnell: Die hat ihre Tage.

 

Wandel der Wahrnehmung

Dennoch findet die Thematisierung der Menstruation seit einigen Jahren in den Printmedien und auf Socialmedia-Plattformen wie Instagram verstärkten Anklang – unter Hashtags wie #endperiodshame und #periodproud finden sich künstlerische Bilder von Blutflecken, witzige Illustrationen und ironische Sprüche, die zeigen sollen: Die Menstruation ist etwas völlig Normales und wir können miteinander darüber sprechen. Der Wunsch einer positiven Besetzung oder Enttabuisierung der Periode wird immer stärker. Die Menstruation befindet sich in einem Wandel der Wahrnehmung – sie gilt nicht mehr nur als Zumutung oder Zeichen der Fruchtbarkeit, sondern zunehmend auch als Symbol weiblicher Selbstakzeptanz und -liebe. Das Narrativ hat eine 180° Wendung von Körperscham zu Period Pride vollzogen. Das ist von besonderer Relevanz, denn ein bejahender und aufgeklärter Zugang zum eigenen Zyklus und Körper stellt einen wichtigen Baustein für die Gesundheit von Frauen dar. Daher ist es eine ermutigende und richtungsweisende Entwicklung, festzustellen, dass Menschen mit Menstruation rund um die Welt mittlerweile Stolz statt falscher Scham erleben lässt. Kulturelle und gesellschaftliche Bewegungen wie body positivity, Selbstliebe und vor allem der aufgeklärte Umgang mit Diversität, Toleranz und Inklusion führen zu einer Wandlung des Narrativs: Von Körperscham zu Körperstolz und Period Pride.

Eine visuelle Analyse

Die Zeit der Körperscham ist vorbei – das Tabu „Periode“ ist überholt. Frauen dieser Welt blutet befreit und seid stolz auf euren Körper: VIVA LA MENSTRUATION!

Looks like

Frauen/ menstruierende Menschen in ausdrucksstarker Pose – direkter Blick in die Kamera; stilisierte/ ikonische Ausdrucksformen der Periode z.B. Blutflecken (auf Unterwäsche, Haut, Kleidung etc.); Zeichen der Befreiung/ Sieges z.B. Victory-Zeichen; natürliche Körper; Rottöne, …

Sounds like

„Period pride“; Periode/ Menstruation; “People with periods“; „Tabubruch“; „Blut(ung)“;
„natürlich“; „free bleeding“; „#bloodnormal“/ „#periodpositive“, „never feel ashamed“; „Viva la menstruation“, „Super Power Periode“ etc.

Feels like

Stolz; stark; mutig; selbstbewusst; rebellisch, aktivistisch, revolutionär; frei/ befreit; siegreich/ unbesiegbar; akzeptierend/ annehmend; freudig feiernd, …

Kultur & Brands

Toleranz, Akzeptanz, Selbstliebe, Kindness-Bewegung; Magazine/ Bücher wie „It‘s Only Blood: Shattering the Taboo of Menstruation“ (Anna Dahlqvist) „Ode an die Periode“ (Carolin Kebekus); Perioden-Kunst z.B. Podcasts/ Blogs/ Talks z.B. Einhorn; Red Tents auf Festivals; CupAware Parties; NGOs wie „Bloody Good Period“/„Period Positive“; Politik-/ Bildungsinitiativen; Free Bleeding Kurse, Aktivismus z.B.: Marathonläuferin Kiran Gandhi.

Brands: The Female Company, Thinx, Einhorn, Freda, Kora Mikino, Modibodi, Dame, …

And now? Was bedeutet das für Marken und Unternehmen?

Das Umdenken macht sich allmählich auch im Konsum bemerkbar: Die Nachfrage nach Biotampons steigt, App-Stores bieten etliche Tracking-Anwendungen, die den Zyklus festhalten. Crowdfinanzierte Alternativen zu Binden und Tampons drängen sich auf den Markt. Hier können Unternehmen ihren Teil zu einer aufgeklärteren Zukunft leisten. Angefangen bei realistischeren Werbesport, bis hin zu einem breiteren Bioangebot können einen Wandel zu neuer Achtsamkeit und Narrativen entstehen lassen. Einige Start-ups wie die ‚Female Company‘ oder ‚Einhorn‘ setzen bereits erfolgreich das wachsende mindset um und generieren damit damit viel Aufmerksamkeit. Aber auch alternative Lösungen wie die wiederverwendbare Menstruationstasse oder Periodenunterwäsche erleben einen Boom und treiben die Diversifizierung des Markts für Menstruationshygieneartikel an. Man könnte annehmen, dass dafür nicht nur nachhaltige Gründe ausschlaggebend sind, möglicherweise äußert sich die Mindset-Veränderung auch in einer tieferen Auseinandersetzung mit der Periode. Ein Unternehmen kann jedoch auch anders ein Zeichen setzen: In einer Firma in England gab es Anfang diesen Jahres einen Vorstoß in Richtung "Menstruationsurlaub" – Frauen dürfen sich dort ein Mal im Monat ohne Angabe von Gründen krankmelden.

Die Menstruation sollte also nicht länger stigmatisiert werden und hat genau jetzt ihren großen Moment. In den Köpfen der jungen Generation ist die Monatsblutung kein Tabuthema mehr, gerade weil sie so eng mit den Debatten über Feminismus und Empowerment und mit anderen Trendthemen wie Body Positivity und Menstruationsgesundheit verbunden ist. Die Ton- und Bildwelt ist bold, laut, selbstbewusst, stolz und zuweilen kämpferisch. Das Thema versteckt sich nicht mehr. Das braucht es auch, um ein lange aufgebautes Narrativ der Körperscham einzureißen und einen Wandel hin zum Periode Pride anzustoßen.

Es darf, ja soll! darüber gesprochen, gelernt und ganz natürlich damit gelebt, zelebriert werden. Dafür gibt es Kurse zum Zyklusverständnis und Tools, Bücher, Zelte auf Festivals und neue Produktentwicklungen. Es geht dabei nicht zuletzt um Selbstbewusstsein, Selbstliebe, Freiheit aber vor allem Gesundheit und Wissen – sowie die Bekämpfung von Menstruationsarmut. Deshalb brauchen wir ein Umdenken in unserer Gesellschaft: Vorreiter, die sich nicht für die Periode oder einem Blutfleck auf der Hose schämen und offen darüber sprechen, nehmen der Menstruation ihr Stigma. Und das könnte wirklich eine Revolution auslösen.

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