Dufte Geschichten
Erst über den Geruchssinn werden Erlebnisse wirklich lebendig, glaubt der Duftexperte Dr. Bodo Kubartz. Wie lebendig das werden kann, erlebte er in Berlin auf dem Festival Osmodrama. Die Geruchsmaschine des österreichischen Künstlers Wolfgang Georgsdorf „Smeller 2.0“ macht nicht nur den alten Traum vom duftenden Film wahr. Sie unterlegt Literatur und Musik mit Gerüchen und spielt gar eine reine Duftsinfonie. Wir sprechen mit Dr. Bodo Kubartz über riechende Geschichten, bei denen Appetit und Ekel, Angst und Abenteuer manchmal ganz dicht beieinander liegen.
Steckbrief
Name: Dr. Bodo Kubartz
Alter: 40
Beruf: Consultant
Lieblingsduft: frischgebackenes Brot
Wie funktioniert die Duftorgel “Smeller 2.0”?
Ganz ähnlich wie das Musikinstrument: Auf Tastendruck wird aus dem sogenannten „Hauchmaul“ ein Duft ausgestoßen. Je nachdem, wieviel Frischluft in dieser Duftmischung ist, nimmt das Publikum Gerüche mehr oder weniger stark wahr. Der Mechanismus, der die Düfte ausgibt und wieder einfängt, ist so ausgeklügelt, dass sich die Duftnoten im Raum nicht vermischen. In der Vergangenheit waren Düfte schwer zu kontrollieren, beim Osmodrama können sie gesteuert und zu Duftsequenzen komponiert werden. In der „Smeller-Suite“ gibt es 64 Duftoptionen, ein olfaktorischer Weltmalkasten.
Die Orgeltasten sind mit Nummern beschriftet. Gibt es eine Art Tonleiter der Düfte oder sogar Akkorde?
Die Düfte, die der Parfümeur Geza Schön komponiert hat, sind schon komplexe Geruchsmischungen. Man kann aber deutlich helle von dunklen Düften unterscheiden oder leichte von schweren. Wolfgang Georgsdorf hat gezielt auch ambivalente Düfte eingebaut, die je nach Kontext anders wirken – wunderbar duftender Käse versus Schweißfüße. Mit geschlossenen Augen malt die Nase die entstehenden Bilder mit. Neben den Orgeltasten lässt sich die Duftorgel übrigens auch per Computer, Keyboard, Launchpad und digitalen Interfaces abspielen. Oder sogar über Gesten und Gebärden.
Welche Düfte lassen sich leicht nachahmen, welche sind schwierig?
Wolfgang Georgsdorf erzählte, dass einige Kompositionen besonders herausfordernd waren, etwa Metalle, Fäkalnoten, Fisch und Ozon. Auch die richtige Balance ist entscheidend. Gerüche sind durchaus mehrdeutig. Cassis, also die schwarze Johannisbeere, können wir in ausreichender Konzentration kaum von Katzenurin unterscheiden! Interessant finde ich den Aspekt der Nachahmung. Was wäre für die Nase anders, wenn eine Nachahmung „schief“ wäre – also etwa eine Frucht nicht wie eine bekannte Frucht riecht, sondern durch Störaspekte verfälscht würde? Olfaktorische Verwirrung kann kreativ machen – indem die Nase einen beschreibenden Ausdruck und Vergleiche zu Ähnlichem suchen will.
Ein paar konkrete Duftstorys, bitte. Wie riecht Kindheit?
Oh, da ist eine einzige Antwort für alle unmöglich. Wie Kindheit riecht, hängt davon ab, wo ich wann und wie aufgewachsen bin, wie ich meine Kindheit empfunden habe. Duft hat eine psychosoziale Komponente. Düfte, die ich heute mag, erzählen auch Geschichten über das Gestern. Außerdem prägt unsere Erziehung, wie wir Duft wahrnehmen und erfahren. Wie wurde gekocht, wo wurde gespielt, wie wurde über Erfahrungen gesprochen. Simple Duftkombinationen wie: „Zuckerwatte mit Gras und Wachsmalstiften“ beschreiben nur einen kleinen Ausschnitt der Kindheit. Ein spannendes Experiment wäre wohl: „Erzähle mir von Deiner Kindheit; Ich kreiere daraufhin einen Duft.“ Und ein Publikum, das den Probanden nicht kennt, erzählt über die Duftwahrnehmung dessen Kindheitsgeschichte.
Wie riecht etwas Unheimliches?
Auch das hat viel mit unserer Kindheit zu tun: Wie wurden Düfte vor allem von Eltern und dem nahen sozialen Umfeld wahrgenommen und beschrieben? Fäkalien – bah, pfui. Süßes – mmmh, lecker. Die Frage ist: Was war für mich als Kind unheimlich und wodurch wurde es so? Dunkle, unbekannte Orte wie ein Straßenkanal, dunkler Wald oder die Dämmerung wurden oft mit Vorsicht, Skepsis, und eventuellen Gefahren verbunden. Entsprechend nehmen wir Gerüche, die dafür stehen, also grüne, holzig-dunkle oder modrig-faule Düfte als unheimlich wahr. Doch was für den einen möglicherweise unheimlich riecht, duftet für den anderen nach Abenteuer, Reise oder Entdeckung.
Wenn das Dufterlebnis bei jedem Menschen anders ist, wie kann ich dann einem großen Publikum mit Geruch Geschichten erzählen?
In der Tat werden Düfte subjektiv anders wahrgenommen. Das muss aber im Zusammenhang der Veranstaltung nicht schlecht sein. Vielmehr macht es deutlich: Düfte sind auch Verhandlungssache. Sie können einen sozialen und kommunikativen Verbindungsstoff bilden, über den man sich austauscht. Wie habe ich was wahrgenommen – und woran erinnert mich das? So beginnen Unterhaltungen.
Wie funktionierte die reine Duftkomposition ohne Begleitmedium für Sie?
Die sogenannte Synosmie ist wohl die andersartigste und gewöhnungsbedürftigste Darbietungsform beim Osmodrama. Es geht um abstrakte olfaktorische Musik, der sich der „Zuriecher“ widmen soll. Das Publikum wird aufgefordert, nicht zu raten, welcher Geruch auf den nächsten folgt und warum das so sein könnte. Und doch habe ich mich ertappt, deuten zu wollen: Was nehme ich wahr, was soll das sein? Es fällt schwer, das nicht zu tun. Bei dieser Entschleunigung und Sinnesfokussierung kann ein gewisses Gefühl der Langeweile aufkommen – was vermutlich an der Konzentration auf nur den einen und zumeist untergenutzten Sinn liegt. Auge und Ohr haben Pause – in einer audio-visuellen Welt ohne Stillstand sehr ungewöhnlich.
Welche Geschichten erzählt Osmodrama?
Im Programmpunkt „Häuserfugen“ geht es um Gerüche und Geräusche in urbanen Räumen. „Die andere Heimat“ – ein Film von Edgar Reitz – wurde geruchlich untermalt und erzählt die Geschichte zweier Brüder im 19. Jahrhundert. Auch eine Feriengeschichte für Kinder wird mit Duft aufgeführt.
Haben wir bald alle eine kleine Duftorgel in unsere Laptops oder Smartphones integriert?
Ich vermute, dass es einen Massentrend aus logistischen, betriebswirtschaftlichen und kundenspezifischen Gründen in naher Zukunft nicht geben wird. Zunächst muss unser vergessener Geruchssinn wieder längerfristig wachgerüttelt werden. Erst wenn ich Erlebnisse wirklich lebendig gestalten will, muss ich letztlich auch den Geruchssinn bespielen.
Was war Ihr liebstes und Ihr unangenehmstes Erlebnis beim Osmodrama?
Begeistert hat mich Wolfgang Georgsdorfs Engagement und Liebe für die Sache sowie die technische Raffinesse des Smeller. Die Vielfalt der Düfte und die Möglichkeit, sie je nach Kontext anders wahrzunehmen, haben mich beeindruckt. Mir wurde wieder klar, dass Düfte meist auch einen sozialen Impetus in sich tragen. Was wir erfahren und gelernt haben, lässt uns bewerten, ob etwas gut oder schlecht riecht. In diesem Sinne gab es auch kein unangenehmes Erlebnis. Wenn wir Gerüche von unterschiedlichen Seiten betrachten, bewerten wir sie eher ergebnis- und urteilsoffen.
Und so gehen wir heute mit offenen Nasen durch die Stadt. Herr Dr. Kubartz, vielen Dank für das Gespräch!
Osmodrama Festival 2016 noch bis 18. September 2016 in Berlin
Dr. Bodo Kubartz, Passion and Consulting, www.passion-and-consulting.de
Titelbild © Katharina Hornig
Fotos © Dr. Bodo Kubartz, Wolfgang Georgsdorf
Autorin: Wiebke Eberhardt
Als New Business und Marketing Strategin sind menschlichen Verbindungen und persönliche Kommunikation für sie echte Herzensangelegenheit. Sie ist verantwortlich für das Changing Culture Magazin und widmet sich mit Leidenschaft der Idee, dass das mächtige Werkzeug Marketing in Zukunft genutzt wird, um zukunftskritisches Verhalten positiv zu beeinflussen und so das Leben zu einem besseren zu verändern.
CHANGING CULTURES MAGAZIN
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