Konsumieren wir Freiheit?
Der neue IPCC Bericht zum Klimawandel zeigt: Wir werden mit immer größerer Wahrscheinlichkeit das 1,5 Grad Ziel verfehlen. Währenddessen wird in der Wirtschaft weiter auf grüne Technologie gesetzt. Technologische Neuerungen und Effizienz allein scheinen unseren Planeten aber nicht retten zu können. Viel mehr müsste man Verzicht üben, Konsum reduzieren und Produktion nachhaltig herunterfahren. Aber Verzicht scheint für viele Menschen einfach keine Option zu sein. Warum ist das so? Warum können wir uns die verrücktesten technologischen Szenarien vorstellen, aber kein Szenario erwägen, in dem wir einfach weniger konsumieren? Ein Erklärungsversuch: Unsere Freiheit steht dem Ganzen im Weg.
DER FREIHEITSBEGRIFF IN KAPITALISTISCHEN GESELLSCHAFTEN
Um das Verhältnis von Freiheit und Verzicht in unserer heutigen Welt zu verstehen, müssen wir uns erst einmal ansehen, wie Freiheit heute im gesellschaftlichen Kontext verstanden wird. Stellt man die Frage: „Was bedeutet es eigentlich, frei zu sein?“, wird oft geantwortet: „Ich bin frei, wenn ich genug Geld habe, wenn ich entscheiden kann, was ich anziehe, wo ich wohne, wie ich lebe.“ Sprich, unser Verständnis von Freiheit ist an Geld geknüpft, an Konsum und an Selbstbestimmung.
Und das hat einen Grund: In dem neoliberalen Wirtschaftssystem, in dem wir gerade leben, wird der Begriff der Freiheit in öffentlichen Debatten oft im Hinblick auf politische und ökonomische Dogmen von freien Märkten und ökonomischem Wachstum verwendet. Die neoliberale Theorie besagt, wir Menschen können nur dann frei sein, wenn es uns ermöglicht wird, auf einem freien Markt ohne staatliche Interventionen zu interagieren und zu konsumieren. Freie Märkte machen uns also zu freien Menschen. Das ist der Grundsatz. Und nicht nur das. Je mehr Optionen wir auf dem Markt angeboten bekommen, desto größer ist unsere Freiheit. Während ich früher zwischen genau zwei verschiedenen Zahnpastasorten auswählen konnte, sind es heute mindestens 20 kleine Tuben, die mir versprechen, meine Zähne strahlend weiß zu polieren. Heute kann ich entscheiden, welche der 500 Kleider eines Online-Shoppingportals ich kaufen und ob ich weiße, schwarze, grüne oder pinke Schuhe anziehen möchte. Ich bin frei. Frei zu konsumieren, was ich will.
NUR DIE, DIE GELD HABEN, SIND FREI
Freiheit zu konsumieren besitze ich aber nur, wenn ich Geld habe. Und das ist das erste Problem dieses Freiheitsbegriffs. Jemand, der Mindestlohn erhält, ist nicht frei, sich zu entscheiden, was er oder sie konsumieren möchte. So können ein alleinerziehender Vater mit deutschem Mindestlohn von 1.664 Euro brutto und die portugiesische Kellnerin mit 740 Euro brutto im Monat sich wahrscheinlich kaum entscheiden, welches Auto sie fahren wollen, wohin sie Reisen möchten und vielleicht noch nicht einmal, welche Zahnpasta sie kaufen. Und das ist die Realität für viele Menschen. Wenn man dieser Logik also folgt und Freiheit mit Konsumfreiheit gleichsetzt – wie es in kapitalistischen Gesellschaften üblich ist – bedeutet dies, dass die Reichen die größte Freiheit besitzen. Ökonomische Ungleichheit schafft daher nicht nur eine Kluft zwischen den Lebensrealitäten von Menschen, sondern – und das klingt viel dramatischer – bestimmt auch, wie frei sie sich fühlen.
WÄHREND WIR FREIHEIT KONSUMIEREN, ZERSTÖREN WIR DEN PLANETEN
Aber das ist nicht das einzige Problem, das mit der Dominanz des neo-liberalen Freiheitsbegriff in unserer Gesellschaft einhergeht. In einer Gesellschaft, in der Freiheit mit Konsumfreiheit gleichgesetzt wird, geht Verzicht immer auch mit Verlust einher. Ökonomisches Wachstum, das heißt die Produktion von immer neuen Konsumgütern, wird unter diesem Freiheitsbegriff als Treiber der Freiheit angesehen. Umgekehrt ist jedes Hindernis für Wachstum und Konsum aber auch ein Hindernis für individuelle Freiheit. Somit wird in kapitalistischen Gesellschaften jede Art des Verzichts als ein Angriff auf die individuelle Freiheit des Einzelnen angesehen. Für die Umwelt hat das dramatische Folgen. Konsumverzicht, der der Umweltkrise entgegen wirken könnte – rückt mit diesem Verständnis von Freiheit in weite Ferne. Jede Klimarichtlinie, die mit Verzicht verbunden ist, wie zum Beispiel eine Begrenzung an C02-Emissionen oder das Verbot von privaten Fahrzeugen in Innenstädten, wird somit grundsätzlich als freiheitsraubend aufgefasst. Dass wir uns also zurückhalten, wenn es ums Verzichten geht, könnte an dem vorherrschenden Freiheitsbegriff in unseren modernen Gesellschaften liegen. Wenn individuelle Freiheit durch jede Art von Konsumreduktion verringert wird, wird Verzicht in den Köpfen der Menschen unmöglich.
UND JETZT?
Um die Welt so gut wie möglich vor weiteren Umweltkatastrophen zu bewahren, sollten wir die Diskussion über Alternativen zum ständigen Wachstum und ungehemmten Konsum weiterführen. Eine solche Diskussion, kann aber nur dann geführt werden, wenn wir die Möglichkeit des Verzichts nicht direkt ausschließen. In Europa scheinen wir alle die Überzeugung zu teilen, Freiheit, in welcher Form auch immer, sei der zentrale Wert für menschliches Wohlbefinden und Glück. Wenn unser Verständnis von Freiheit jedoch eng mit unbegrenzten Möglichkeiten und Konsum verbunden ist, fällt es schwer, sich auf eine Diskussion über ökologische Grenzen und Verzicht einzulassen. Deshalb ist es jetzt unsere Aufgabe, die Idee der Freiheit neu zu denken.
Ein erster Ansatz für eine neue Konzeptualisierung der Freiheit für die moderne Welt, gibt uns Phillip Pettit, ein irischer Philosoph und Politikwissenschaftler. Er befasst sich mit dem republikanischen Freiheitsbegriff und stellt die Idee des “nichtbeherrschenden Lebens” in das Zentrum seines Werks. Frei zu sein bedeutet nach Pettit nicht, immer mehr Optionen und Möglichkeiten zu haben, sondern sein eigener Herr zu sein und frei in der Gestaltung der Gesellschaft mitwirken zu können. Würde die Mehrheit der Gesellschaft Freiheit so verstehen, wären Richtlinien zum Konsumverzicht wahrscheinlich umsetzbarer. Denn wenn Freiheit bedeutet, sich aktiv in der Gestaltung der Gesellschaft einzubringen, würden gemeinsam entschiedene Klimarichtlinien nicht mehr als freiheitsraubend aufgefasst werden. Aber Pettits Vorschlag ist auch nur einer von vielen Möglichkeiten, Freiheit neu zu denken. Es ist wichtig, dass wir anfangen zu reflektieren und uns Fragen über unser eigenes Verständnis von Freiheit stellen. Denk an einen Moment, an dem du dich frei gefühlt hast: Wann war das? Warst du alleine oder unter Menschen? Warum hast du dich in dem Moment frei gefühlt? Und dann denke weiter: Was brauchst du also wirklich, um frei zu sein?
*Dieser Text wurde erstmals in der Ausgabe Nr. 5 der Zeitschrift TEMA zum Thema Konsum veröffentlicht.
Weiterführende Links zum Thema:
IPCC Bericht 2022: Climate Change 2022: Mitigation of Climate Change. Verfügbar auf: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg3/
Pettit, P. (1997). Republicanism - A theory of Freedom and Goverment. Clarendon Press. Oxford.
Pettit, P. (2014). Just Freedom: A Moral Compass for a Complex World. WW Norton & Company.
Autorin: Carlotta Terhorst
Carlotta Terhorst ist studierte Politikwissenschaftlerin, Projektassistenz beim NELA – Next Economy Lab und Mitgründerin des TEMA Magazine. TEMA ist ein europaweites Magazin für Popjournalismus und Fotografie. Alle zwei Monate erscheint eine Ausgabe, in der ein internationales Team von AutorInnen und FotografInnen auf eine von der Redaktion gestellte übergreifende Frage antwortet. Auf diese Weise schafft TEMA einen Raum für den Austausch von Ideen und Bildern über nationale Grenzen hinweg.
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