#MINDSET2030

Wiebke Eberhardt
New Business und Marketing Strategist
02.09.2021 | Lesezeit: 5 Minuten

CHANGING CULTURES MAGAZIN > MINDSET2030 > „Bewaffnet in den Supermarkt“

Vom plastikfreien Leben

„Plasticarians“ sind Menschen, die versuchen, Plastik ganz zu vermeiden oder ihren Plastikkonsum stark zu reduzieren. Das mag exzentrisch oder überbesorgt wirken. Doch vielleicht sind sie nur Vorreiter für einen gesellschaftlichen Umschwung. Denn „Plastik – nein danke“ sagte im Januar auch die Stadt Hamburg und verbannte Kaffeekapseln und Einweggeschirr aus städtischen Einrichtungen. Damit löste sie ein weltweites Medienecho aus. Für Nadine Schubert sind Kaffeekapseln natürlich schon lange ein rotes Tuch. Die Journalistin lebt seit drei Jahren weitgehend plastikfrei, bloggt und veröffentlichte jetzt das Buch „Besser leben ohne Plastik“.

Name: Nadine Schubert

Wohnort: Neuschleichach im Steigerwald (Franken)

Alter: 35 Beruf: Journalistin, Bloggerin und Buchautorin

Motto: Warte nicht darauf, dass jemand für Dich Entscheidungen trifft, triff sie selbst!

Frau Schubert, warum und seit wann leben Sie plastikfrei?

Anfang 2013 stieß ich erstmals auf das Thema Umweltverschmutzung durch Plastikmüll. Gleichzeitig sah ich eine Reportage über die negativen Auswirkungen von Schadstoffen in Plastik auf unsere Gesundheit. Zu dem Zeitpunkt war ich mit dem zweiten Kind schwanger und beschloss: Es muss sich etwas ändern.

Was sagen Familie und Freunde dazu? Gibt es kritische Stimmen?

Mittlerweile kennen mich alle als die „Plastik-Frau“. Dabei bin ich ja die Frau ohne Plastik. Am Anfang haben viele Leute Bedenken ob der Machbarkeit geäußert. „Wie soll das gehen, alles ist in Plastik verpackt“. Solchen Äußerungen bin ich schon immer gelassen begegnet und dachte: „Ich zeig´ euch doch, dass es anders geht!“

Wie viele Menschen in Deutschland leben plastikfrei oder –arm?

Viel zu wenige. Aber eine genaue Zahl gibt es nicht. Die Plastikvermeider-Bewegung wächst jedoch stetig an. Es gibt immer mehr Unverpackt-Läden und die Online-Communities gewinnen mehr und mehr Anhänger. Es tut sich also was.

Was war Ihr größter Gewinn bei der Umstellung auf ein plastikfreies Leben?

Ich freue mich mittlerweile über einen reduzierten Lebensstil. Denn wir kaufen und besitzen nicht mehr so viel, seitdem wir auf Plastik verzichten. Dadurch hat sich nämlich auch unser Konsumverhalten drastisch geändert. Und dennoch hat keiner das Gefühl zu kurz zu kommen. Ich bin zufriedener.

Gibt es denn gar nichts, worauf es Ihnen schwer fällt zu verzichten?

Darauf fällt mir spontan nichts ein. Denn ich habe nicht das Gefühl, dass ich verzichte. Es gibt einfach nur Dinge, die ich nicht mehr kaufe. Und das aus gutem Grund. Ich vermisse nichts.

Wie reagieren Sie, wenn Ihre Kinder Plastikspielzeug geschenkt bekommen oder danach verlangen?

Ich habe Glück, denn meine Freunde und Verwandten sind mittlerweile so geimpft, dass sie uns nicht mehr mit Plastikmüll überschütten. Traurig bin ich jedoch, wenn viele Süßigkeiten und Pralinen ins Haus kommen. Das passiert leider noch viel zu häufig.

Haben Sie in Ihrer Umgebung schon Veränderung bewirkt?

Ich habe einige Leute angesteckt, die jetzt auch sehr darauf achten, was sie kaufen. Das freut mich sehr.

Wie hat sich Ihr Konsumverhalten allgemein verändert?

Ich kaufe frischer ein und weniger. Ich bin nun immer gut vorbereitet, wenn ich zum Einkaufen gehe – und natürlich bewaffnet mit Korb, Tragetaschen und Dosen für Wurst und Käse. Wer gut plant, spart Geld. Auch bei Kleidung hat sich mein Kaufverhalten geändert. Meine Kinder haben im Winter ein paar Schuhe und eine Jacke – nicht fünf. Und im Frühjahr gibt´s dann etwas Neues.

Bei jedem Einkauf dabei: Korb und Behälter zum Abfüllen. © Leonie Wise

Wird man ein besorgterer Mensch, wenn man sich so intensiv mit den Nachteilen von Plastik auf Umwelt und Gesundheit beschäftigt?

Ich bin nicht überängstlich geworden oder drehe durch, wenn ich doch mal was in Plastik kaufen muss. Das sind Ausnahmen. Sorge bereitet mir aber schon, dass niemand genau sagen kann, wozu dieses Plastik mit all seinen Schadstoffen tatsächlich fähig ist.

Wo resignieren Sie?

Ich habe es mir abgewöhnt, im Urlaub nach Ersatz zu suchen. Denn oft gibt es keinen. Also bin ich entspannt und wir lassen in den paar Tagen quasi so richtig die „Plastik-Sau“ raus. Das hat weniger mit Resignation als mit der Bewahrung der Urlaubsentspanntheit zu tun. Im ersten Italien-Urlaub seit dem Plastikverzicht hab ich mir die Hacken abgelaufen, um Wasser im Glas zu finden. Das mache ich nun nicht mehr. Übrigens dürfen die Kinder im Urlaub auch mal Chips und Kekse essen.

Wieviel Zeit investieren Sie zusätzlich, um plastikfrei zu leben, etwa für Spezialeinkäufe, Zubereitungen von Waschmitteln oder Kosmetikprodukten?

Das geht doch ganz fix. Ich bin im Supermarkt schneller, als alle anderen, weil ich an den meisten Produkten gelassen vorbeigehe – ist ja alles in Plastik verpackt. Und Bestellungen von Nudeln oder Shampoo mache ich ein- bis zweimal im Jahr. Das kostet nicht viel Zeit. Dafür spare ich viel, weil ich keine Klamotten mehr online kaufe! Das Selbermachen kostet auch nicht viel Zeit. Meinen Ansatz von Waschmittel stelle ich in fünf Minuten her, Puder geht in drei Minuten. Mascara dauert ein bisschen, weil man dafür Mandeln verkohlen muss. Am Ende ist es bei allem wie mit dem Kuchenbacken: Gelingt´s, ist es ein tolles Gefühl und die Arbeit hat sich gelohnt.

Waschmittel stellt Nadine Schubert aus Kernseife her. Der Plastikmüll aus vier Monaten passt in ein Gurkenglas. © Nadine Schubert

Womit beschäftigen Sie sich zurzeit am intensivsten?

Na ja, ich bin sehr viel unterwegs und halte Vorträge. Das kann man als intensive Beschäftigung bezeichnen. Ansonsten beschäftigt mich das Thema Monatshygiene. Das ist nämlich etwas, womit ich mich noch zu wenig auseinandergesetzt habe. Ich möchte nun einige Produkte testen, um auf Tampons und Slipeinlagen verzichten zu können.

Was ist die wichtigste Fähigkeit, die ein Kind heute lernen muss?

Es muss neugierig sein und Vertrauen haben. Die Kinder sind heute schon so geprägt von Werbung und Konsum, dass sie sich allem verschließen, was sie nicht kennen. Mein Sohn ist leider auch so. Meine Tochter konnte ich davor bewahren. Sie isst alles, probiert zumindest alles und auch die fünfte Absage, als sie mich nach einem „Quetschie“ (Fruchtpüree im Quetschbeutel aus Plastik) gefragt hat, hat sie nicht zum Weinen gebracht. Sie hat es akzeptiert und brabbelt nun immer was von „ungesund“. Das sind für mich Erfolgserlebnisse.

Was ist Ihre liebste technische Errungenschaft?

Da gibt es einige und ja, sie sind alle aus Plastik: Kaffeeautomat, Tablet und Telefon. Ich bin eine Frau und habe immer Redebedarf, aber ich telefoniere auch beruflich viel. Und morgens geht nichts ohne Cappuccino.

Welche Trendentwicklung hat Sie in den letzten zwölf Monaten am meisten überrascht?

Wegwerfklamotten und Kaffeekapseln. Ich verstehe es nicht, dass Leute demonstrieren, weil sie auch eine Filiale des Billig-Labels bei sich in der Stadt haben möchten, das T-Shirts für zwei Euro verkauft. Dafür könne man sich öfter mal was Neues gönnen. Ganz davon abgesehen, dass diese Klamotten, genäht in Asien unter widrigen Umständen, nach dreimal Waschen wahrscheinlich sowieso nur noch als Putzlappen gut sind. Bei den Kapselautomaten werfe ich den Leuten vor, dass sie nicht rechnen können. Umgerechnet kostet das Kilogramm Kaffee nämlich 60 Euro! Stünde das auf einer Packung Bohnen im Supermarkt, würden sich alle an den Kopf fassen. Und an die Umwelt denkt dabei auch keiner.

Darauf einen handgebrühten Kaffee. Frau Schubert, vielen Dank für das Gespräch!

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